Kunstquartier, Bergstraße 12a, 5020 Salzburg
Organised by
Hildegard Fraueneder / Nora Grundtner / Manfred Kern
Universität Mozarteum
Programmbereich „Kunstpolemik-Polemikkunst“ am Kooperationsschwerpunkt „Wissenschaft & Kunst“ der Paris-Lodron-Universität Salzburg
16.05.2019 – 18.05.2019
Deadline: 31.01.2019 for abstracts in both English and German
https://www.w-k.sbg.ac.at/de/kunstpolemik-polemikkunst/aktuelles.html
Hephaistos, der seines Hinkens wegen den Göttern Anlass zum sprichwörtlichen homerischen Gelächter gibt, ist zugleich der göttliche Repräsentant höchster Schmiedekunst und Schmiedetechnik. Der blinde Homer gilt der abendländischen Tradition als Vater der Dichtkunst, weil er gerade wegen seiner Blindheit den Blick in ungeahnte poetische Welten eröffnen und alles das sehen konnte, was den eigentlich Sehenden verborgen bleibt. Tizians „Fleckenmalerei“ wird von manchen als Produkt seiner Sehschwäche und zittrigen Hände gesehen, und der Legende nach soll erst die drohende Gehörlosigkeit Beethoven zu seinen gewagtesten Kompositionen befähigt haben.
Die genannten Namen stehen prototypisch für die notorische Denkfigur, die in ihren verschiedenen „Spielarten“ Gegenstand der Tagung sein soll: dass nämlich ein ursächlicher, essentieller Zusammenhang zwischen Kunst und Gebrechen bestehe.
Dabei zeichnen sich vorab zwei diametrale Richtungen ab: Die eine, repräsentiert durch Hephaistos und Homer, ließe sich das „kompensative Denkmuster“ oder das „Phantasma der Begabung“ nennen: Kunstvermögen gilt hier als Ausgleich, als „Entschädigung“ für die „Beschädigung“. Die Vorstellung lässt sich auf mehreren kulturgeschichtlich wirkungsmächtigen und kulturtheoretisch aufschlussreichen Ebenen festmachen. Sie grundiert schon das ganz basale Theorem vom Menschen als Mängelwesen, als Stiefkind der Natur, das durch seine Kunstbegabung gerade jene Defizite auszugleichen weiß, mit denen er eben von Natur aus konfrontiert ist, ja mehr noch: Gerade aus dem Mangel heraus weiß er über alle anderen Lebewesen zu triumphieren. Hephaistos besichert dieses anthropologische Phantasma auf einer mythologischen Ebene; Homer beglaubigt es auf einer soziokulturellen, wobei die Behauptung des Stellenwerts der Dichtkunst, die der blinde Dichter verkörpert, insgeheim zugleich die Fragilität und Disponibilität dieser Position ausdrücken könnte.
Die andere Richtung, vertreten durch den sehschwachen Tizian und den tauben Beethoven, weiß künstlerische Genialität und das Revolutionäre in der Kunstentwicklung gleichsam als zufälligen, glücklichen „Betriebsunfall“ zu diskreditieren, wobei die höhere Ironie darin besteht, dass das Gebrechen, das zur künstlerischen Ausnahmeleistung führt, genau jenes Sinnenvermögen betrifft, das für die Kunstausübung unverzichtbar zu sein scheint. Gerade im Spätwerk scheinen den „alten Meistern“ wegen ihrer leiblichen Gebrechen unvergleichliche Schöpfungen zu gelingen, da jede leibliche Behinderung neue Strategien und Techniken zu er/-finden fordert. Das „Phantasma der genialen Beschädigung“ behauptet somit auf einer kunsttheoretischen Ebene, dass Konvention nur dann zu durchbrechen wäre, wenn es ein äußerliches Hindernis gäbe, ihr zu genügen.
Über diese skizzierten grundlegenden Paradoxien verbinden sich mit „Kunst und Gebrechen“ noch weitere Phänomene und Problemstellungen. Dass Homer wegen seiner Blindheit am Dichten gerade nicht gehindert ist, mag etwa eine mediengeschichtliche Implikation haben. Mögen Ilias und Odyssee das visuelle Medium der Schrift auch voraussetzen, so wurzeln sie in einer Tradition mündlicher Dichtung, und das akustische Medium ist jedenfalls jenes, in dem sie kommuniziert werden. Überhaupt ließe sich fragen, inwiefern das Gebrechen die unterschiedlichen Kunstformen auch unterschiedlich tangiert: Der blinde Literat – man denke an Jorge Luis Borges – vermag sich scheinbar leichter zu behelfen als der blinde Maler oder der taube Musiker, da das Wort immer zugleich gesehen und gehört werden kann.
Ferner sind der „Figurationen“ des Gebrechens jenseits dieser einschlägigen auch noch weitere: Dass Krankheit künstlerische Begabung befördere, ist ein ganz allgemeines, kurrentes Klischee der Rezeptionsgeschichte, aber auch der Selbstinszenierung der Kunstschaffenden, man denke an Heine in der Matratzengruft oder auch an Thomas Bernhard. Ein großes Feld eröffnet sich, wenn man von der physischen Beschädigung weiterdenkt zur psychischen. Wahnsinn und künstlerische Genialität sind auf prekäre Weise verschwistert – auch diese Variante von „Kunst und Gebrechen“ will von der Tagung nicht ausgeblendet werden, wenngleich sie auch nicht im Zentrum stehen soll.
Schließlich hat das Thema gerade in jüngster Zeit an Aktualität gewonnen. „Art and disability“ hat auf mehreren Ebenen Konjunktur. Die Künste „bedienen“ sich zumal im Performance- und Theaterbereich unterschiedlichster Formen des Gebrechens, nicht zuletzt im programmatischen Fahrwasser der „Partizipation“. Gerade im Kontext von „disability“ wäre danach zu fragen, welche soziokulturellen und soziopolitischen Chancen Konzepte einer inklusiven Kunstproduktion, die das elitäre Genialitätsparadigma gerade verabschiedet, eröffnet, welche Ambivalenzen es gleichzeitig einzugehen riskiert. Ziehen die Künste, ziehen die Kunstkonsumierenden am Ende parasitären Nutzen aus jenen Menschen, die sie im Zeichen der Inklusion am ehemals hehren, dem elitären Genie vorbehaltenen Prozess des Kunstschaffens teilhaben lassen?
Kunsttheoretisch wäre schließlich zu fragen, inwiefern überall dort, wo Kunst und Gebrechen enggeführt werden, affirmative und/oder polemische Denkweisen mit im Spiel sind und, wie in der Rezeption von Frida Kahlo oder Lorenza Böttner beispielhaft nachzuzeichnen, gerade die körperliche und auch seelische Beeinträchtigung zur Faszination am künstlerischen Oeuvre beitragen und einen Mythos – in diesem Falle – weiblicher Künstlerschaft mit befördern, mit dem künstlerische Kreativität die Aufgabe des gebärfähigen Körpers voraussetzt.
Willkommen sind sowohl Beiträge, die sich exemplarischen Fällen, Mythen, Künstlerfiguren, konkreten Legendenbildungen oder aber auch literarischen, bildnerischen und musikalischen Kunstwerken widmen, die Kunst und Gebrechen verhandeln; als auch Beiträge, die sich den angedeuteten theoretischen Perspektiven widmen.
Vortragsvorschläge mit kurzem Abstract sind per mail bis 31. 1. 2019 erbeten an nora.grundtner@sbg.ac.at.
Die Vortragsdauer soll 30 Minuten nicht überschreiten. Vortragenden werden Reise- und Aufenthaltskosten ersetzt.
Mögliche Vortragssprachen sind jedenfalls Deutsch und Englisch, für anderssprachige Vorträge bitten wir um Rücksprache.
Kontakt
Nora Grundtner
Universität Salzburg
Erzabt-Klotzstr. 1
A-5020 Salzburg
nora.grundtner@sbg.ac.at